Freitag, August 07, 2009
Spandau von den Anfängen bis heute
Der Ursprung des städtischen Lebens im Spandauer Raum ist auf dem slawenzeitlichen Burgwall zu suchen, der ein bis zwei Kilometer südlich der Altstadt liegt. An strategisch günstiger Stelle, am Zusammenfluß von Havel und Spree, entstand aus einer unbefestigten Siedlung im frühen 8. Jahrhundert eine Burganlage. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts erlebten die Burg und die ihr angeschlossene stadtartige Siedlung dann eine bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts dauernde Blütezeit. Einschneidende Veränderungen ergaben sich, nachdem Markgraf Albrecht der Bär aus dem Haus Askanien 1157 endgültig die Herrschaft über das Havelland erlangt hatte. Zur militärischen Sicherung richteten die askanischen Markgrafen Vogteien ein.
Die Nennung eines Vogtes von Spandau als Zeuge in einer markgräflichen Urkunde von 1197 beweist, daß die Vogtei Spandau schon früh als bedeutsamer Sitz der Landesverwaltung im Havelland diente. Seit dem 11. Jahrhundert bestand auf dem Gelände der heutigen Zitadelle ebenfalls eine slawische Burg, die den Havelübergang deckte. Die askanischen Markgrafen haben diesem strategisch wichtigen Paß große Bedeutung beigemessen. So ließen sie die Burg ausbauen, während der Burgwall um 1200 völlig aufgegeben wurde. Die Bevölkerung dürfte größtenteils in den Bereich der Altstadt umgesiedelt worden sein. Hier war im Schutz der Burg auf dem Zitadellengelände am Ende des 12. Jahrhunderts im Umkreis der Nikolaikirche eine Niederlassung deutscher Kaufleute entstanden. Diese Siedlung entwickelte sich zu einem Marktort, den die Markgrafen Johann I. und Otto III. schließlich 1232 das Stadtrecht und andere wichtige Privilegien verliehen. Spandau wurde in dieser Zeit als planmäßige Stadtanlage angelegt und ausgebaut. Kurfürst Joachim II. ließ an Stelle der den neuen Angriffswaffen nicht mehr gewachsenen Burg eine Landesfestung errichten, die in Krisenzeiten den Schutz der nahegelegenen Residenzstadt Berlin-Cölln übernehmen sollte. Die 1559 begonnene Anlage wurde als bastionäres System mit nahezu quadratischem Grundriß und jeweils einer Bastion auf den Ecken konzipiert. Von der Burg blieben nur Juliusturm und Palas stehen. 1594 wurden die Bauarbeiten an der Festung im wesentlichen beendet.
Tiefgreifende Veränderungen für die städtische Entwicklung ergaben sich während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Als 1626 die Mark Brandenburg vom Krieg erfaßt wurde, erhielt Spandau eine in Bürgerquartieren untergebrachte Garnison, und die Stadtbefestigung wurde verstärkt.
Da Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, seit 1644 ein stehendes Heer aufbaute, blieb Spandau auch nach dem Dreißigjährigen Krieg eine Festungs- und Garnisonsstadt. Die Anzahl der zum Militär gehörenden Personen lag am Ende des 18. Jahrhunderts zwischen einem Drittel und der Hälfte der Gesamtbevölkerung.
Die Festung selbst war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von militärischen Aktionen verschont geblieben. Dies änderte sich, nachdem Napoleon im Oktober 1806 die preußischen Truppen bei Jena und Auerstedt besiegt hatte und die siegreichen Franzosen schnell vorrückten. In der Nacht vom 24. zum 25. Oktober 1806 schlossen sie die Festung Spandau ein, die kampflos kapitulierte. In den Befreiungskriegen belagerten russische Truppen das von den Franzosen besetzte Spandau im März 1813. Nachdem preußische Truppen die Russen abgelöst hatten, wurden Stadt und Festung Spandau unter Beschuß genommen. Am 23. April 1813 kapitulierten die Franzosen und verließen Spandau.
Die Niederlage von 1806 bedeutete eine tiefgreifende Erschütterung des gesamten gesellschaftlichen Systems und hat die Reform des preußischen Staates wesentlich beschleunigt. Es konnte nun eine Reformgesetzgebung durchgesetzt werden, die den Untertanen zum Bürger machte was sich vor allem in der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Städteordnung manifestierte - Ansätze, die im Gefolge der Revolution 1848 weiterentwickelt wurden.
Im Schutz der Festung baute der preußische Staat seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Spandau die Rüstungsindustrie aus, wozu bereits König Friedrich Wilhelm I. mit der 1722 auf dem Plan errichteten Gewehrfabrik den Grundstock gelegt hatte. Feuerwerkslaboratorium, Pulverfabrik, Geschützgießerei, Zündspiegelfabrik, Artilleriewerkstatt, Munitions-, Patronen- und Geschoßfabrik kamen im Laufe des 19. Jahrhunderts hinzu. Im Ersten Weltkrieg fanden bedeutende Erweiterungen der Rüstungsbetriebe statt. Die Gesamtzahl der Beschäftigten, die 1910 noch 10.000 betragen hatte, stieg bis 1918 auf 70.000 Menschen. In dem Zeitraum von 200 Jahren seit der Gründung der Gewehrfabrik war Spandau so zu einem bedeutenden Rüstungszentrum im Deutschen Reich geworden.
Der Ausbau Spandaus zu einer der stärksten Festungen Preußens im 19. Jahrhundert hatte äußerst negative Folgen für die Stadtentwicklung, weil die Ausdehnungsmöglichkeiten auf ein Minimum reduziert wurden. Daß die Heereswerkstätten zum Militärfiskus gehörten und deshalb von der Gewerbesteuer befreit waren, wirkte sich auf die Finanzen der Stadt nachteilig aus. Ferner mußte die Kommune die Kosten für die Entwicklung einer kommunalen Infrastruktur allein aufbringen. Außerdem hing die Konjunktur im Rüstungssektor sehr stark von der militärischen Entwicklung sowie der allgemeinen politischen Lage ab, so daß Boom gefolgt von Wohnraummangel und Krise gepaart mit Arbeitslosigkeit oftmals einander unvermittelt ablösten. Erst durch die Aufhebung des Festungsstatus im Jahre 1903 wurde Spandau aufgrund seiner verkehrsgünstigen Lage auch für die Privatindustrie ein attraktiver Standort. So hatte die Firma Siemens & Halske bereits 1897 außerhalb des Rayons am Nonnendamm ein großes Gebiet erworben und erschlossen, wo sie ungehindert expandieren konnte. Daraus erwuchs ein neuer Stadtteil, der seit 1914 Siemensstadt heißt.
Der Versailler Vertrag von 1919 verbot die weitere Rüstungsproduktion. Die Fertigungsanlagen mußten demontiert oder vernichtet werden. Statt Waffen und Munition wurden nun Fahrzeugkarosserien, Landwirtschaftsmaschinen, Motorräder und vieles mehr hergestellt. Dies bedeutete zunächst einen großen Verlust an Arbeitsplätzen. Als die Heereswerkstätten im März 1919 ihre Pforten schließen mußten, wurden 44.000 Menschen auf einen Schlag arbeitslos. Zuvor hatten sich die politischen Strukturen geändert. Am 9. November 1918 hatte Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen. Das Dreiklassenwahlrecht wurde abgeschafft, das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht eingeführt. Am 2. März 1919 fand erstmals eine demokratische Wahl zur Stadtverordnetenversammlung in Spandau statt, an der auch Frauen beteiligt waren. Die ebenfalls neugebildete "Verfassunggebende preußische Landesversammlung" verabschiedete am 27. April 1920 das "Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin", das am 1. Oktober 1920 in Kraft trat. Damit verlor die Stadtgemeinde Spandau ihre kommunale Selbständigkeit und ging als achter Bezirk in der Großgemeinde Berlin auf. Durch Spandaus Eingemeindung vergrößerte sich seine Fläche auf 8.969 Hektar, was fast einer Verdoppelung entsprach. Der Zuwachs bestand aus den ehemaligen Landgemeinden und Gutsbezirken Gatow, Kladow, Staaken, Pichelsdorf, Tiefwerder, Zitadelle, Heerstraße (nördlicher Teil) und Pichelswerder.
Stärker als die übrigen Berliner Bezirke hatte Spandau in der Weimarer Zeit unter der Arbeitslosigkeit zu leiden. Die sich aus der Umgestaltung der Rüstungsindustrie ergebenden ökonomischen Strukturprobleme konnten nie wirklich gelöst werden. So kann es nicht verwundern, daß die NSDAP früh in Spandau Fuß faßte und bereits 1925 bei den Bezirksverordnetenwahlen kandidierte, während sie in den übrigen Bezirken noch nicht in Erscheinung trat. Goebbels konnte später mit einigem Recht behaupten, die NSDAP habe Berlin von Spandau aus erobert. Schließlich erzielte die Partei bei den Wahlen der Jahre 1932 und 1933 Berliner Spitzenwerte. Nach der Machtübergabe im Januar 1933 war der politische Terror auch in Spandau an der Tagesordnung. Die SA richtete nicht nur in ihren Treffpunkten, sondern auch in einem Spandauer Polizeirevier im Nebengebäude des Rathauses sogenannte "wilde KZ" ein. Der am 1. April 1933 angeordnete "Judenboykott" stieß bei der Bevölkerung auf wenig Zustimmung, nach dem Novemberprogrom 1938 aber wurden die jüdischen Geschäftsinhaber durch Enteignung "ausgeschaltet". Es waren Spandauer SA-Männer, die am 9. November 1938 die Synagoge anzündeten und die Fensterscheiben jüdischer Geschäfte zerstörten. Wer es nicht schaffte, Deutschland bis 1941 zu verlassen, wurde im Zuge der "Endlösung der Judenfrage" in den Vernichtungslagern ermordet. Diesem Schicksal fielen mindestens 102 Spandauer Bürger zum Opfer.
Im Aufrüstungsprogramm des Nationalsozialismus erhielt Spandau einen hohen Stellenwert. Die Rüstungsindustrie kehrte zurück und expandierte erneut. Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Mit fortschreitendem Krieg fehlte es bald an Arbeitskräften. Aus den besetzten europäischen Ländern wurden Männer und Frauen zwangsweise nach Deutschland gebracht. In Spandau gab es mehr als 40 "Fremdarbeiterlager". Zwei Unternehmen waren sogar KZ-Außenlagern mit insgesamt 2.000 Häftlingen angegliedert. In den schweren Luftangriffen Ende 1944 und Anfang 1945 wurde vor allem die Altstadt von Spandau stark zerstört. Als die Rote Armee im Frühjahr 1945 Berlin einschloß und eroberte, kam es auch in Spandau zu Kampfhandlungen. Die Spandauer Zitadelle machte freilich eine "unmilitärische" Ausnahme. Mut und Vernunft auf beiden Seiten führten zur kampflosen Übergabe der Festung am 1. Mai 1945, wodurch vielen Zivilisten und Soldaten das Leben gerettet wurde. Während in den übrigen Bezirken die Waffen seit dem 2. Mai weitgehend schwiegen, versuchte eine größere Anzahl deutscher Soldaten und Zivilisten noch am 3. Mai über die Charlottenbrücke nach Westen durchzubrechen. Nach heftigen Kämpfen, die viele Opfer kosteten, endete der mit vielen Hoffnungen angetretene "Marsch in die Freiheit" 24 Stunden später an der Spandauer Stadtgrenze in Staaken.
Ab Mitte 1945 gehörte Spandau zum britischen Sektor. Spandau war der einzige Berliner Bezirk, der durch den Ost-West-Konflikt geteilt wurde. Im Austausch gegen den "Seeburger Zipfel", den die Sowjets den Briten am 30. August 1945 für den Ausbau des Flugplatzes Gatow abtraten, wurde West-Staaken abgetrennt. Seit dem 3. Oktober 1990 gehört West-Staaken aufgrund des Einigungsvertrages wieder zu Spandau. 1947 wurde das Kriegsverbrechergefängnis in der Wilhelmstraße unter Vier-Mächte-Verwaltung gestellt, die bis zum Tod des letzten Gefangenen, Rudolf Hess, im Jahre 1987 aufrechterhalten wurde.
Die Nachkriegsentwicklung hat Spandau entscheidend verändert. Der Bauboom der 5Oer und 60er Jahre führte zur Errichtung größerer Wohnkomplexe auf den vormals landwirtschaftlich genutzten Flächen. Mit der im Bau befindlichen Wasserstadt Oberhavel wird bald eine neue Großsiedlung hinzukommen. Die Einwohnerzahl, die 1939 noch 170.000 betrug und diesen Stand 1959 wieder erreicht hatte, überstieg 1967 erstmals 200.000. Nach der Bevölkerungszahl rangierte Spandau seitdem an dritter Stelle unter den Bezirken West-Berlins. Daran hat sich auch durch die Wiedervereinigung Berlins nichts geändert. Wirtschaftlich bedeutete das Kriegsende einen völligen Neuanfang. An die Stelle der Rüstungsindustrie traten wichtige Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen wie das Kraftwerk Reuter, das Klärwerk Ruhleben, die Müllverbrennungsanlage sowie zahlreiche zivile Klein- und Mittelbetriebe, so daß die Wirtschaftsstruktur nicht mehr allein durch Großbetriebe bestimmt wurde. 1990 betrug die Gewerbe und Industriefläche 5,1 Quadratkilometer. Unter den Bezirken West-Berlins nahm Spandau damit den ersten Rang ein. Obwohl nach der Grenzöffnung 1989 ein rasanter Strukturwandel einsetzte und die Zahl der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe zurückging, konnte Spandau damit seine führende Position in Berlin weiterhin behaupten.
Neben Reinickendorf und Neukölln wurde auch Spandau im Zuge der Gebietsreform Berlins zum 1. Januar 2001 mit keinem Bezirk fusioniert. Mit rund 223.000 Einwohnern rangiert Spandau auf dem letzten Platz.
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Labels: Land und Leute
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